Eine virtuelle Ausstellung zu El Lissitzkys ‚Kabinett der Abstrakten‘
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El Lissitzky hat das Kabinett der Abstrakten 1926/27 als „Demonstrationsraum” konzipiert. Der Ausstellungsraum für Kunst erlaubte den Besucher*innen durch verschiedene Vorrichtungen eine Interaktion mit den Werken und stiftete gleichzeitig Desorientierung, um ihnen das eigene Sehen und damit die Bedingungen des Ausstellens stets vor Augen zu führen. Das Werk des russischen Avantgardekünstlers hat eine fragmentierte und wechselvolle Geschichte durchlebt: 1927 im Provinzialmuseum in Hannover im Auftrag von Alexander Dorner eingerichtet und zehn Jahre später von den Nationalsozialisten zerstört, wurde das Kabinett 1968 zunächst im Landesmuseum Hannover rekonstruiert. In dieser zweiten Version wurde es von 1979 bis 2016 im Sprengel Museum gezeigt, und Anfang 2017 durch einen Neubau des historischen Raumes ersetzt. Jeder der verschiedenen Zustände des Kabinetts ist fotografisch dokumentiert worden, sodass der Fotografie eine wesentliche Rolle in der Entwicklung des Raumes zukommt—als Nachbild historischer Zustände, sowie als Vorbild für aktuelle und zukünftige Rekonstruktionen.
Die Geschichte des Kabinetts der Abstrakten wird in einem außergewöhnlichen Ausstellungsformat reflektiert. Auf Basis von historischen und aktuellen Fotografien wurde eine Augmented Reality-App entwickelt, die den virtuellen Besuch des Kabinetts und eine Zeitreise durch die unterschiedlichen Versionen des Raums ermöglicht. Die App “demonstrationsraum” greift Lissitzkys Bezeichnung für seinen Raum, sowie seine künstlerische Vision der Besucheraktivierung auf, und überträgt sie in eine virtuelle Ausstellung. In der Anwendung wird eine Auswahl dokumentarischer Fotografien der verschiedenen Versionen des Raums passgenau über seine derzeitige Gestalt gelegt. So können die Besucher*innen schreitend die Zeitschichten von 1928 bis heute durchlaufen. Dabei werden Unterschiede zwischen den einzelnen Versionen sichtbar—zugleich aber auch der sich in allen Zuständen niederschlagende Anspruch auf die Erschütterung des bürgerlichen Kunstmonopols, auf Partizipation, der mit der App eine weitere Aktualisierung erfährt.
Fotos: Yorck Maecke; Charlotte Schmid
Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund, 30.11.—13.12.2015
Eine Beta-Version der App wurde erstmals im Rahmen des Jahresprogramms 2015 „inspektionen//teilhabe_n“ in der Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund, Berlin, präsentiert. Begleitet wurde die Ausstellung von einem Fachtag am 2.12.2015, in dessen Rahmen sich Expert*innen aus Kunstwissenschaft und kuratorischer Praxis über die Bedeutung der Rekonstruktionen des Kabinetts der Abstrakten ausgestauscht haben. Die verschiedenen Redebeiträge zum Fachtag sind in einem digitalen Sammelband zum Projekt gebündelt.
Fotos: Christian Pankratz
Sprengel Museum Hannover, 5.6.—16.10.2016
Anlässlich der Wiedereröffnung der Sammlungspräsentation des Sprengel Museums Hannover wurde die demonstrationsraum-App in der Rekonstruktion des ‚Kabinetts der Abstrakten‘ als Raumintervention gezeigt. Die dort ausgestellte Version der App ermöglichte es den Besucher*innen des Kabinetts, die fotografische Überlieferung des Kabinetts mit Selfies fortzuschreiben—erstmals wurden so die Nutzer*innen des Raumes auch in ihrer aktiven Auseinandersetzung mit dem Display dokumentiert. Die Ausstellung markierte zudem das Ende der Präsentation der seit 1979 am Sprengel Museum befindlichen Rekonstruktion. Diese wurde Ende Oktober 2016 demontiert; an ihre Stelle trat 2017 ein Neubau, der der jüngeren kunsthistorischen Forschung zum Kabinett Rechnung tragen soll.
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Fotos: Malte Taffner, (c) HBK Braunschweig
Galerie der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, 26.10.—11.11.2016
Ausgehend von der 1979er Version des Raumes, die bei all ihren Unzulänglichkeiten die Wahrnehmung des Kabinetts doch über 40 Jahre hinweg geprägt hat, wurde in Braunschweig die finale Version der App präsentiert. Das Projekt kehrte damit an seinen Ursprungsort zurück. Die hier ausgestellte Version bildete eine Auswahl der im Zuge der Ausstellung in Hannover entstandenen Selfies ab, und wurde von der Veröffentlichung des Sammelbandes „Aura-Politiken“ sowie der Onlinestellung der App in App- und Playstore flankiert.
Fotos: Wiktor Dmitrijew, (с) Goethe-Institut Nowosibirsk; Philipp Sack
Kunstraum "Art El'", Nowosibirsk, 19.5.—11.6.2017
Im Rahmen einer Kooperation mit dem Goethe-Institut Nowosibirsk wird die App im Frühsommer 2017 an einem Ort gezeigt, der für die heutige Wahrnehmung von Lissitzkys Werk von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Sophie Lissitzky-Küppers, die Witwe des Künstlers, wurde 1944 als „feindliche Ausländerin“ nach Nowosibirsk verbannt und behielt auch nach der Aufhebung der Verbannung ihren Lebensmittelpunkt in der Stadt am Ob, wo sie 1978 verstarb. Von Sibirien aus war sie maßgeblich an der Verwaltung des Nachlasses ihres Mannes beteiligt, konnte aber selbst nicht mehr von den Wertsteigerungen profitieren, die Lissitzkys Œuvre sowie Teile ihrer in Deutschland verbliebenen und von den Nazis beschlagnahmten Privatsammlung auf dem Kunstmarkt erfuhren.
Die Präsentation in Nowosibirsk bildet den Anlass für eine Reihe von Veranstaltungen zu Leben und Wirken von Sophie Lissitzky-Küppers in Nowosibirsk, die in Zusammenarbeit mit Kultur- und Forschungseinrichtungen vor Ort durchgeführt werden. Zudem wird anlässlich der Ausstellung die Begleitpublikation ins Russische übertragen.
Yves Haltner (Zeichnung): demonstrationsraum, in: Johan Holten/Kunsthalle Baden-Baden (Hrsg.): Ausstellen des Ausstellens. Von der Wunderkammer zur kuratorischen Situation (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, 2.3.—17.6.2018), Berlin/Stuttgart: Hatje Cantz 2018, S. 16. Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers, des Künstlers sowie des Verlags.
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 2.3.—17.6.2018
Unter dem Titel "Ausstellen des Ausstellens. Von der Wunderkammer zur kuratorischen Situation" versammelte die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden historische Artefakte und künstlerische Positionen zu Geschichte und Gegenwart des Zeigens im Museum. Die App wurde hier zusammen mit einer Arbeit von Goshka Macuga gezeigt, die sich ebenfalls auf Lissitzkys Kabinett bezieht.
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